Heute feiern wir den 75. Jahrestag des Grundgesetzes. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft und ist seither ein Garant für Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Vielfalt – es ist das Fundament unseres Zusammenlebens in der Bundesrepublik Deutschland.
Viele der „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes waren bereits vor 1933 in deutschen Parlamenten vertreten. Drei von ihnen gehörten 1919 zur Weimarer Nationalversammlung: Helene Weber (CDU), Paul Löbe (SPD) und Wilhelm Heile (DP).
Unter den 65 Mitgliedern waren nur vier Frauen: Helene Weber (CDU), Friederike Nadig und Elisabeth Selbert (beide SPD), und Helene Wessel (Zentrum). Insbesondere Elisabeth Selbert und Friederike Nadig verdanken wir, dass im Artikel 3 der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ steht.
Alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates einte, dass sie tief vom Scheitern der Weimarer Republik und vom nationalsozialistischen Terror geprägt waren. Das Grundgesetz stellt damit eine unmittelbare politische Reaktion auf die strukturellen Schwächen der Weimarer Verfassung von 1919, die es zugelassen hatte, dass mit dem Ermächtigungsgesetz und der Gleichschaltung im „Dritten Reich“ die Demokratie durch das Führerprinzip ersetzt wurde. Nie wieder sollte von deutschem Boden ein Krieg und eine Gewaltherrschaft ausgehen.
Und so ist unser Grundgesetz die Verfassung eines demokratischen Rechtsstaates, der mit seinen europäischen und außereuropäischen Nachbarn friedlich zusammenleben möchte.
Darüber hinaus enthält das Grundgesetz aber auch einen Auftrag und einen Appell an Staat und Zivilgesellschaft. Eine freiheitliche Gesellschaft lebt von der Grundüberzeugung der Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, aktiv für Demokratie und Menschenwürde einzutreten. Sie muss aber auch durch den Staat und seine Institutionen gewährleistet und geschützt werden, wo ihre obersten und durch die Verfassung garantierten Werteprinzipien zur Disposition gestellt werden.
So bezeichnet dann auch das Bundesverfassungsgericht das politische System der Bundesrepublik Deutschland als streitbare, wehrhafte Demokratie.
Das Grundgesetz ist die Konsequenz aus den Unrechtstaten des Nationalsozialismus und soll uns vor einer Wiederholung schützen. Wir können es also gar nicht hoch genug halten und uns freuen, dass die Mehrheit in unserem Staat es schätzt und bewahren möchte. Deshalb lasst uns feiern, dass wir in einer vielfältigen, freien und offenen Gesellschaft leben. Die wir aber auch nach Rechtsaußen verteidigen müssen!
Unsere Highlights des Grundgesetzes zum Nachlesen.
Wir haben unsere Mitglieder gefragt: "Warum ist der Geburtstag des Grundgesetzes ein guter Grund zum Feiern und welcher Grundgesetzartikel ist euch besonders wichtig?" Dazu haben wir viele schöne Antworten bekommen, die wir hier veröffentlichen.
Sabine Poschmann:
Die Würde des Menschen ist nicht nur wichtig, sie ist „unantastbar“. Dieser Grundsatz ist für mich Richtschnur für viele Entscheidungen, im Alltag genauso wie im Bundestag. Das hat etwas mit Respekt gegenüber jeder und jedem zu tun. Wenn wir nur mal darüber nachdenken, wie wir selbst behandelt werden möchten und dies im Miteinander mit anderen genauso umsetzen, wären wir schon weit vorne. Dem Staat kommt dabei eine besondere Schutzfunktion zu. Die Menschen in Deutschland sollen selbstbestimmt ihr Leben führen, unabhängig von ihrer Herkunft oder welches Schicksal sie ereilt hat. Dafür setze ich mich ein.
Fabian Erstfeld:
Mein Lieblingsartikel des Grundgesetzes ist Artikel 20 mit seinen ersten drei Absätzen. Sie werden als "Verfassung in Kurzform" bezeichnet, denn sie enthalten deren wichtigste Strukturprinzipien: Demokratie, Bundesstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit sowie die Republik als Staatsform. Diese werden in Artikel 79 als unveränderlicher Teil des Grundgesetzes festgelegt und in anderen Artikeln des Grundgesetzes weiter ausformuliert. Da diese Prinzipien so wichtig sind, wurden sie auch in die Präambel des Einigungsvertrages (mit der ehemaligen DDR) von 1990 übernommen.
Vincent Misz:
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit‘ steht in Artikel 2 des Grundgesetzes. Rund um die Möllerbrücke ist dieser Satz eine gelebte Realität. Studierende, junge Familien und alteingesessene Dortmunder kommen hier zusammen und machen so ein unglaublich buntes Viertel aus. Jeder Mensch findet hier Raum, sich frei zu entfalten. Es ist schön so zu sehen, dass das Grundgesetz nicht irgendetwas Abstraktes ist. Es ist das Leitbild unseres Zusammenlebens – auch ganz konkret vor Ort. Wir können stolz sein, dass wir diese Demokratie seit 75 Jahren haben und müssen sie mit allen Demokrat*innen aufrechterhalten, damit wir weiter in Vielfalt zusammenleben.
Julien Kuhnen:
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit haben in ihrer Entstehung eine Vorgeschichte. Für unsere Demokratie, die wir heute haben, musste Europa zwölf Jahre Terrorherrschaft über sich ergehen lassen. Zwölf Jahre Nationalsozialisten waren nötig, um uns zu verdeutlichen, wie wichtig eine gut funktionierende Demokratie ist. 75 Jahre später müssen wir uns wieder daran erinnern, was passiert, wenn Rechte und Faschisten Zuspruch bekommen. Dieser Tag gilt also nicht nur als Tag der Geburtsstunde des Grundgesetzes, sondern auch als Mahn- und Gedenktag. Er mahnt uns: Demokratie, Menschenwürde und Gerechtigkeit dürfen nie wieder verloren gehen.
Ich feiere den 23.05. weil er für mich und für alle anderen Menschen Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte und Mitbestimmung bedeutet.
Heute bin ich 20 Jahre alt. Sollte ich in 75 Jahren noch leben, so brülle ich auch dann: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!!“ Die Demokratie kann man haben, aber dann muss sie verteidigt werden. Das lehrt uns der 23.05.1949.
Sabine Bartz:
Das Grundgesetz gibt mir die Freiheit, so zu leben, wie ich es möchte. Es ist die Grundlage für meine Gleichberechtigung als Frau. Auf dieses Recht sollen auch alle anderen Mitmenschen einen Anspruch haben. Demokratie ist die beste und einzige Möglichkeit, Freiheit zu leben. Auch wenn es anstrengend sein kann. Diese Anstrengung ist es aber wert.
Ingo Kallweit:
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feiert sein 75. Jubiläum und damit auch den Artikel eins, der besagt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".
Dieser Grundsatz hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Gesellschaft gehabt, indem er die Rechte und Freiheiten jedes Einzelnen schützt und respektiert.
Er dient als moralische Leitlinie für unser Zusammenleben und erinnert uns daran, dass jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status gleichwertig ist.
In einer Zeit, in der Diskriminierung und Ungerechtigkeit noch immer existieren, ist es wichtig, diesen Artikel zu würdigen und weiterhin für die Wahrung der Menschenwürde einzutreten.
Ulrich Piechota:
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spielt eine zentrale Rolle für Arbeitnehmer, da es die grundlegenden Rechtsprinzipien und Freiheiten festlegt. Es gewährleistet die Würde des Menschen und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, was auch im Arbeitskontext von Bedeutung ist. Diese Rechte sind nicht nur theoretisch wichtig, sie haben auch praktische Auswirkungen, da sie die Rahmenbedingungen für Arbeitsverhältnisse und den Schutz der Arbeitnehmer vor ungerechter Behandlung durch den Arbeitgeber definieren. Darüber hinaus sichert das Grundgesetz im Art. 9 Abs. 3 die Koalitionsfreiheit, was bedeutet, dass Arbeitnehmer das Recht haben, Gewerkschaften zu bilden und sich kollektiv für ihre Interessen einzusetzen. Daraus wiederum ergibt sich das Recht zum Streik und zur Aussperrung als verfassungsrechtlich geschützte Kampfmittel im Arbeitskampf. Ungeachtet dessen müssen wir als Beschäftigte stets damit rechnen, dass konservative Kräfte dieses Verfassungsrecht einschränken wollen.
Manuela Piechota:
75 Jahre Grundgesetz – für mich ein Fest für die Demokratie in Deutschland! Das GG ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Verpflichtung für jede*n Einzelne*n, jeden Tag, ob privat oder am Arbeitsplatz, dafür einzustehen, dass Frieden, Freiheit und Demokratie in Deutschland Bestand haben. Artikel 1.(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hierzu ein Appell, um das GG auf der Höhe der Zeit zu halten: Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind Eltern und Staat für den Kinderschutz verantwortlich. Das ist richtig, reicht jedoch nicht aus. Kinder haben eigene Rechte (UN-Kinderechtskonvention) diese sollten im GG verankert werden, nicht nur weil Kinder unsere Zukunft sind oder weil wir daran denken, dass sie die Erwachsenen von morgen sind, sondern aus Respekt vor ihnen und um ihrer selbst willen, damit jedes Kind die gleichen Rechte und Chancen in diesem Land auf eine glückliche und gesunde Kindheit hat, unabhängig vom seiner Herkunft und seinem Elternhaus!
Sandra Spitzner:
Die Frage, wie ein politisches System und eine Verfassungsordnung beschaffen sein müssen, um sowohl demokratische Rechte und Freiheiten sowie die Gleichheit der Bürger:innen zu gewährleisten als auch Mittel bereitzustellen, die die Abschaffung der Demokratie durch demokratische Mittel verhindern, war bereits während des verfassungsgebenden Prozesses vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein zentrales Thema. Die Antwort des Grundgesetzes auf diese Frage lässt sich mit den Begriffen Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung beschreiben.
So besagt die sogenannte Ewigkeitsklausel in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes, dass bestimmte grundlegende Bestimmungen nicht geändert werden dürfen. Dadurch wird die Abschaffung der Grundrechte, ausgehend von der Menschenwürde in Artikel 1, des Föderalismus, des Sozialstaatsprinzips, des Republikprinzips, des Demokratieprinzips, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, im Rahmen des Grundgesetzes verhindert. Die Verfassung setzt somit aktiv Werte und Normen und zeigt die Bereitschaft, antidemokratische Angriffe abzuwehren.
Dazu gehört auch Artikel 21, der sogenannte Parteienartikel, der die Möglichkeit von Parteienverboten regelt. Er weist den Parteien im Absatz 1 eine bedeutende Rolle im politischen Willensbildungsprozess zu, erklärt aber in Absatz 2 eindeutig: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“